Eine Geschichte für das alte Jahr und eine Geschichte für ein Neues Jahr!
Es war einmal ein kleines Jahr. Es war noch sehr klein, so klein, dass niemand es sehen konnte. Das Altjahr mit all‘ seinen gefüllten Terminkalenderseiten versteckte das winzigkleine Neue Jahr hinter seinen breiten, hohen und schweren Rücken.
Das kleine Jahr trippelte ungeduldig von einem Fuß auf den anderen Fuß. Jetzt aber! Jetzt, durfte es nach vorne kommen. Aber nein. Das Altjahr machte sich breit. Voller Stolz zeigte es das Bild von einem Büroeinzug mit unzähligen Bücherkisten, Kabel und Kaffeetassen. Stolz war das Altjahr auf dieses Bild. Denn nun konnte jeder in der Stadt sehen, wo das Altjahr zu Hause war – im Büro Erzähltheater an der Großen Gildewart 36. Doch schon drängte sich eine andere Kalenderseite vor.
An einem warmen Tag im Juni ritten die Friedensreiter-AG aus Osnabrück und Münster in die bis auf den letzten Platz gefüllte Aula der Heinrich-Schüren-Schule. Doch schon war auch dieses Bild davon gerauscht.
„Platz da! Platz da! Aus dem Weg.“ Schnell sprangen die Wochen und Monate zur Seite, denn in der Tat rollte ein großer Bagger gerade vorbei. Viele Wochen stand er auf dem Ledenhof vor der Eingangstür und versperrte so manchem den Blick auf die Märchen, die sich oben im Renaissancesaal tummelten. Der Bagger machte es den Scheinwerfer schwer die Wendeltreppe hinaufzuklettern und schenkte der fahrenden Märchenkutsche zu guter Letzt einen Kuss.
Da kam ein Windstoß und fegte die alten Kalenderblätter durcheinander. Wochen wechselten mit Monaten, Tage mit Wochen. Frühling, Sommer, Herbst und Winter flogen durcheinander. Ein jeder wollte noch eilig noch einen Blick auf das Wesentliche des Altjahres werfen können: Onlinemeetings, Auftritte, Banküberweisungen, Fortbildungen, etliche Nachtschichten zum Filmschneiden und ein klatschnasser Märchenstuhl, der vom Bürgerfest im August heim in die Gildewart rollte. Er war stolz, denn es war sein erster Regenguß, dem er tapfer standhielt. Gerade noch flogen wunderschöne Fotos von des Kaisers Neuen Kleider aus Melle vorüber, da war es schon Dezember. Das Märchenschaufenster bei Schäffer füllte sich mit Märchen und Geschichten, die bis auf die Straße zu hören waren.
So viele Kalenderblätter, Termine und Bilder. Das Altjahr wurde ganz müde bei so vielen Geschichten. Es gähnte. Ganz langsam fielen ihm die Augen zu. Es schließt die letzten Kalenderblätter und wird am 31. Dezember 2023 noch einmal den Renaisance-Saal im Steinwerk Ledenhof strahlend hell erleuchten. Und dann – klapp – wird es vorbei sein. Ja, natürlich, all die Erinnerungen würden wiederkommen, wenn ich das alte Jahr noch einmal wieder aufklappe. Aber es werden nur noch Geschichten sein.
Für einen winzig Moment wird es scheinen, als würde die Zeit nach dem zwölften Glockenschlag der Katharinenkirche anhalten.
Da drängt sich etwas winzigkleines Etwas nach vorne. Und das Neujahr steht vor der Tür. „Hallo“, wird es leise sagen. „Bin ich hier richtig?“ „Oh ja“, wird die Märchenerzählerin sagen, lächeln und das neue Jahr behutsam in ihre Hände nehmen. „Was wirst du mir bringen? Mir, meinen Märchen und meinen Mitmenschen?“ „Träume“, wird das kleine Neujahr sagen und es wird beginnen, sich groß zu machen.
„Fein“, werde ich denken. „Aus Träumen werden die besten Geschichten.“
Ich wünsche Ihnen und euch allen ein Weihnachtsfest voller Glanz und ein Neues Jahr voller Träume.
Eure Sabine
(Märchenerzählerin, Träumerin und dann und wann etwas wehmütig)